Jana Tumangelov






Universum der Körper  

Betrachtungen zu den Bildern Jana Tumangelovs


Im Zentrum von Jana Tumangelovs künstlerischem Schaffen stand und steht immer wieder die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, das Interesse an seiner Physik, die Faszination, die von ihm ausgeht. In früheren Jahren war dafür das Porträt ihr bevorzugtes Medium. Später radikalisierte sich der Zugang, so daß eine Reihe von Zyklen entstand, die den hier vorgestellten entsprechen, die die chronologisch vorläufig letzten drei aus dieser Reihe sind.
Das Bemerkenswerte an diesen Zyklen ist, daß das Körpererlebnis in eine Vielheit aufgesplittert ist, der Körper wird als eine archaische Pluralität erfahrbar, die eine Einheit und Zusammengehörigkeit entweder erst sucht oder sogar verweigert. Es sind Gruppenbilder, in dem Sinne, daß wir mehrere Personen sehen, aber jeder Körper stellt seinerseits eine Gruppe, ein Ensemble von Körperteilen dar, die ein Eigenleben führen. Sie sind zwar noch durch das gemeinsame Feld des Körpers aneinander gebunden, aber gelegentlich kann ihre Verselbständigung soweit gehen, daß sie sich gewaltsam von ihm abspalten oder abgetrennt werden. Aber es gibt noch mehr Phänomene: Sie wechseln auf ein und demselbem Körper von einer Daseinsform in die nächste, von Leben zu Tod (von Fleisch zu Skelett), von Mensch zu Tier (Mischwesen entstehen), von Etwas zu Nichts (Armstümpfe), wachsen aus dem Körper heraus (Krallen), überschreiten Grenzen, treffen einander, hängen sich zusammen, Körperteile von verschiedenen Körpern kommunizieren untereinander; oder aber sie stoßen einander ab und verwandeln sich in Gegensätze (Skelett-Mann und dickes, fleischiges Kind), die die Spannung des Bildes beherrschen. Das herausragende Thema hier ist Energie, die blanke Energie zwischen Körpern sowie Körperteilen. Erzählt wird uns hierbei von der Faszination des Körpers, von seinen Strukturen, von seinen Zeichen, von seinen Wunden, seiner Einsamkeit, seiner Nacktheit und Ausgeliefertheit, aber auch von seiner Macht. Der Körper wird Welt, die Welt wird Körper. Er hat sich die ganze Bildfläche erobert. Alles andere ist in den weißen Papierhintergrund getreten.
Damit ist natürlich nur ein kleiner Teil all der Phänomene angesprochen, die sich auf diesen Blättern finden lassen, und es soll damit lediglich eine Anregung gegeben sein, sie sich selber etwas näher anzusehen und auf Entdeckungsreise zu gehen.
Die eindringliche und überzeugende Darstellung des menschlichen Körpers wurde der Künstlerin durch langwierige Studien der klassichen Anatomie- und Kunstbücher der frühen Neuzeit ermöglicht. Kunstgeschichtlich logisch ist aber freilich die Differenz ihrer Arbeiten zu denen der alten Meister, von denen sie lernte: Während die Künstler der Renaissance (Leonardo etwa) die Anatomie des menschlichen Körpers studierten, um den Menschen in seiner wunderbaren Ganzheit, in seiner harmonischen Einheit mit dem Kosmos und in seiner zentralen Stellung darin darzustellen, transportieren Jana Tumangelovs Bilder eine genuin moderne Erfahrung, die sich in der Kunst seit der Jahrhundertwende durchsetzte: die Zerlegtheit, die Fragmentierung des Ichs, die Zerteiltheit des menschlichen Körpers, die Welt als Montage von verschiedenen, heterogenen, zueinander in Spannung gesetzen Teilen.


Ortwin Rosner
(Text verfasst anlässlich einer Ausstellung von 
Jana Tumangelovs Bildern im Wittgenstein-Haus 1998)



Jana Tumangelov
 Geb. 9. 11. 1963
Studium an der Akademie der bildenen Künste in Wien