Montag, 16. Februar 2015

Das Elend der postmodernen Ideologie und ihrer Vertreter auf Erden
v. Ortwin Rudolf Rosner

Eine launische und polemische Replik auf einen launigen und polemischen Kommentar von Fritz Ostermayer, dem Direktor der Schule für Dichtung, im Standard-Album vom Standard 20./21.9.2014


Vielleicht sollte ich Fritz Ostermayer dankbar sein. Seine resolute Kampfschrift „Was wurde aus dem ‚Tod des Autors‘?“, das Werk eines Alt-Postmodernen, dient mir als Erinnerungshilfe, um auch jene miefige Zeiten nicht zu vergessen, in denen ich mich im Käfig der Universität herumtrieb und mich im Dschungel der akademischen Ideologien zurechtfinden und ihnen gehorsam dienen musste. Vieles von den intellektuellen Sprachspielen und Denkvorschriften, die man um die Ohren geschlagen bekam, fand sich gar nicht einmal in den wissenschaftlichen Arbeiten und Büchern selbst, sondern beschränkte sich auf die Diskussionen in den Seminaren, in denen man mit Hilfe einiger Phrasen schon gefügig gemacht und einem erklärt wurde, was überholt sei und wie man demgegenüber heute zu lesen und zu schreiben, am Ende schlichtweg: zu denken habe. Aufgrund dieser Kultur der sozusagen mündlichen Tradition ist vieles davon gar nicht dokumentiert. Als ich aber auf die Zeilen von Fritz Ostermayer im Standard-Album stieß, da war es, als wäre alles leibhaftig wieder gegenwärtig, nun habe ich es schriftlich. Dabei hatte ich schon gehofft, die postpostmodernen Floskeln würden vielleicht inzwischen keinen mehr interessieren und man würde eingesehen haben, dass auch sie nicht die absolute Wahrheit darstellen. Solche Bedenken hat Ostermayer indes nicht und schüttet die altbekannten und mittlerweile, das muss man überdies sagen, selbst schon etwas abgegriffenen Tiraden erneut über uns aus.
Doch sieht er sich dabei immerhin mit einer kleinen Tragödie konfrontiert. Denn wie jeder richtige Ideologe versteht er zwar den Ton anzugeben und weiß er zwar, was richtig ist – aber das einfache Volk folgt ganz einfach nicht. Der in der strukturalistischen und poststrukturalistischen Fachliteratur früherer Jahrzehnte ausgerufene „Tod des Autors“ hat sich, so bedauert er mit Grausen, ebenso wenig durchsetzen können wie das proklamierte „Ende des Erzählens“, so dass er gegen die immer noch fortwährende „Betroffenheits-“ und „Befindlichkeitsprosa“ wettern und sich über die „innere Selbst- und Sinnsuche“ sowie die „Befreiungsversuche des Individuums“ auf dem Feld der Literatur lustig machen muss, kurz über die Beschreibung von menschlichen „Schicksalen“ überhaupt – indes er gleichzeitig freilich dennoch beteuert, er wolle ja kein Zyniker sein.
Wenn er sich dabei aber (man muss sagen: nicht ganz zu Unrecht) über die „Phrasendrescherei“ und „das gelahrte Gelaber“ des Kulturbetriebes empört, das er auch als „Schas mit Quastln“ bezeichnet, dann muss man freilich einmal innehalten und einen kritischen Blick auf seinen eigenen Text werfen.
Dann sieht man leider, dass sein Pamphlet ebenfalls aus nichts anderem besteht. Da wettert nämlich einer gegen „Befindlichkeitsprosa“ – und merkt nicht, dass er selbst ebenso nichts anderes abliefert. Denn alles, was man hier vorfindet, sind die durchaus sehr persönlichen und subjektiven Ressentiments und Vorlieben des gar nicht toten Autors Fritz Ostermayer. In der Tat „erzählt“ er uns da einiges über sich. So etwas wie ein Argument wird man hier aber nirgends finden. Vielmehr bloß die im gewohnten polemischen und ein wenig diktatorischen Stil hervorgebrachte postmoderne Kampfrhetorik in alter Frische. „Die Reduktion auf das Narrative nervt“, gibt er uns kund, ohne zuzugeben, dass es zuerst einmal ihn nervt, und ohne über das Wort „nervt“ hinauszugehen, da das ja schon zu viel Eingeständnis von persönlichen Gefühlen wäre, die man im coolen postmodernen Betrieb am Ende doch immer zu verleugnen hat, auch wenn man trotzdem von ihnen immerzu gesteuert wird. 
Seine Begeisterungsstürme für die konzeptuelle Kunst allerdings, die er wortgewaltig in Szene setzt – er kann uns nicht erklären, warum das nicht auch „gelahrtes Gelaber“ und „Schas mit Quastln“ ist, was er da schreibt:  „Am allerschönsten aber: Nächstes Wochenende wird der kanadische Poesie-Konzeptualist Christian Bök im Wiener Literaturhaus sein Irrsinnsprojekt xenotext experiment vorstellen. Darin geht es darum, einem extrem resistenten Bakterium namens ‚Deinococcus radiodurans‘ die DNA-Sequenz eines Bök-Gedichts zu injizieren. Damit sich das Poem quasi autorenlos immer weiter fortpflanze und dank der Widerstandsfähigkeit des Bakteriums auch jede nukleare Katastrophe überdauere.“
Man verstehe mich nicht falsch. Ich verteufle die Postmoderne oder was man mit diesem verschwommenen Ausdruck gemeinhin bedenkt, keineswegs in Bausch und Bogen, genauso wenig wie Konzeptkunst. Darum geht es mir nicht. Die „Verwissenschaftlichung“ der Geisteswissenschaften durch den Strukturalismus in den 60er Jahren sowie dessen alsbaldige Überwindung (gleichzeitig Fortführung) im Poststrukturalismus haben ohne Zweifel Großes geleistet, neue Perspektiven eröffnet und einen Blick für viele Textphänomene überhaupt erst gefunden, für die es vorher gar keine Begriffe gab. Der Text als Text selbst rückte mit einer Radikalität in den Vordergrund, wie das zuvor vielleicht nie geschehen war, seine dynamische, lebendige, fließende und vielschichtige Bauweise. Ich sehe es auch keineswegs als etwas Schlechtes an, einen Text einmal als ein vom Autor losgelöstes Spiel zu betrachten und dazu Überlegungen anzustellen, die ohne die konventionelle Frage, was die „Aussage“ des „Autors“ sei, auskommen. Ganz im Gegenteil. Aus der Hand des von Ostermayer ins Feld geführten Roland Barthes gibt es dennoch wunderbare, einfühlsame Studien, und die Analysen von Julia Kristeva, auf die er sich ebenso beruft, konnten tatsächlich etwas von der von ihr ausgerufenen revolutionären Kraft der poetischen Sprache freilegen.
Aber aus der Postmoderne wurde sogleich eine Mode, und erstaunlich rasch versteinerte sie zur sich hermetisch abschließenden Ideologie, zu einem Must, dessen Grundsätze man sich einzuverleiben hatte und nicht mehr hinterfragen durfte. Weniger richtet sich meine Kritik daher gegen ihre ersten Autoren als gegen ihre Verflachung und Ausdehnung ins Unendliche, gegen ihre Vulgarisierung im akademischen Betrieb, wo sie als Teil des Standesdünkels einer Schicht Intellektueller fungiert, als Inventar an schlagkräftigen esoterischen Phrasen für die Alphamännchenspiele des Kultur- und Wissenschaftsbetriebes. Das ist das, was von ihr übergeblieben ist. Modelle, die einst Gesellschaftskritik sein wollten, aber wurden Thronsessel für beinahe schon aristokratische Arroganz.
Denn vielleicht hat es in der Geschichte bisher keine andere Strömung gegeben, die es dermaßen raffiniert verstanden hat, sich selbst den Titel subversiv zu verleihen, währenddessen sie in Wahrheit tatsächlich immer autoritärere Züge annahm. In Erinnerung ist mir noch, wie mir auf der Universität beigebracht wurde, welche Worte man auf keinen Fall mehr in den Mund nehmen dürfe: als da sind „Wahrheit“ und „Authentizität“, „Natur“, „Ursprung“, „Originalität“, „Unmittelbarkeit“, „Ausdruck“ und „Ich“, - „Seele“ natürlich schon gar nicht.
Diejenigen, die sagen, es gebe gar keine Wahrheit, verwalten nämlich hier paradoxerweise selbst einen durchaus absoluten Anspruch auf Wahrheit, und darum verstehen sie es schon gar nicht mehr, wie man von ihrem Dogma, dass alle Wirklichkeit bloß gesellschaftliche Konstruktion sei, auch nur irgendwie abweichen könne, dann sei man doch ein verachtenswerter und zurückgebliebener Essentialist.
Mit dieser Ansicht geht – ebenso in sich widersprüchlich – einher, dass gerade eine Strömung, die mit sich so sehr den Titel der Vernunftkritik zu verbinden verstand, selbst nur neuerlich zu einer Überbetonung des bloß intellektuellen Erfassens der Welt führte. Dementsprechend geriet es bald zur Selbstverständlichkeit, der Kategorie des Mitgefühls oder der Anteilnahme zugehörige Anwandlungen öffentlich lächerlich zu machen und als „Betroffenheitsduselei“ oder „lamentöse Sozialdramatik“ zu diskreditieren. Wer Postmoderner wurde, bekam das Eintrittsticket zum gesellschaftlich akzeptierten Zynismus.
Darum blieb die postmoderne Literaturrezeption durchaus nicht nur in denselben Vorurteilen gegenüber den emotionalen Anteilen des Menschen stecken, die im Wissenschaftsbetrieb und unter Intellektuellen generell herrschen, sondern sie verstärkte sie auch noch. Mit meiner Auffassung, dass für mich als Leser, der einen Text verstehen will, doch wohl unter anderem die darin gespeicherten Gefühle eines Menschen eine Rolle spielen könnten, stieß ich daher gegen eine Mauer. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der Betreuer meiner Abschlussarbeit die mahnenden wie verständnislosen Worte an mich richtete, es ginge doch bei einem ernsthaften Zugang zur Literatur darum, über Texte intellektuell zu verhandeln und nicht darum, sich irgendwie in sie hinein zu fühlen.
Der Personen- und Geniekult um den Autor wiederum, um darauf zurückzukommen, nahm nicht weniger paradoxe Wege. Auf der einen Seite will ihn die Postmoderne seit jeher abgeschafft wissen, auf der anderen Seite setzt sie ihn selbst fort, in Form des guten alten akademischen Brauchs des einschüchternden Name-droppings: Barthes hat gesagt … Foucault hat gesagt … na, dann muss es ja wohl stimmen.
Um zur Anfangsfrage zurückzukehren, die Fritz Ostermayer stellt: Was wurde aus dem „Tod des Autors“? Für mich selbst jedenfalls habe ich die Antwort: Nun, dasselbe, was aus der ganzen eitlen Feier der „Auslöschung des Subjekts“ bzw. des „Individuums“, aus all diesen dumpfen Phrasen von der „Sprache, die sich selbst spricht“ bzw. vom „Text, der nur eine Maschine ohne Ich sei“ etc. geworden ist.
Irgendwann haben sie sich selbst überlebt. Die Postmoderne hat alles andere als überholt dargestellt, nur damit langsam aber sicher sie sich selbst auch als überholt herausstellt. Solange man jung war, haben sich ihre Sprüche geil angehört. Man wird älter, reifer, lässt die Pubertät hinter sich und sieht: es geht doch auch um die Menschen, um ihre Schicksale, und so albern ist das nicht.

Zur Nachlese:
Der Text von Fritz Ostermayer im Original: