Das Elend der
postmodernen Ideologie und ihrer Vertreter auf Erden
v.
Ortwin Rudolf Rosner
Eine launische und
polemische Replik auf einen launigen und polemischen Kommentar von Fritz
Ostermayer, dem Direktor der Schule für Dichtung, im Standard-Album vom Standard
20./21.9.2014
Vielleicht sollte ich Fritz Ostermayer
dankbar sein. Seine resolute Kampfschrift „Was wurde aus dem ‚Tod des
Autors‘?“, das Werk eines Alt-Postmodernen,
dient mir als Erinnerungshilfe, um auch jene miefige Zeiten nicht zu vergessen,
in denen ich mich im Käfig der Universität herumtrieb und mich im Dschungel der
akademischen Ideologien zurechtfinden und ihnen gehorsam dienen musste. Vieles
von den intellektuellen Sprachspielen und Denkvorschriften, die man um die
Ohren geschlagen bekam, fand sich gar nicht einmal in den wissenschaftlichen
Arbeiten und Büchern selbst, sondern beschränkte sich auf die Diskussionen in
den Seminaren, in denen man mit Hilfe einiger Phrasen schon gefügig gemacht und
einem erklärt wurde, was überholt sei
und wie man demgegenüber heute zu lesen und zu schreiben, am Ende schlichtweg:
zu denken habe. Aufgrund dieser Kultur der sozusagen mündlichen Tradition ist vieles davon gar nicht dokumentiert. Als
ich aber auf die Zeilen von Fritz Ostermayer im Standard-Album stieß, da war es, als wäre alles leibhaftig wieder gegenwärtig,
nun habe ich es schriftlich. Dabei hatte ich schon gehofft, die
postpostmodernen Floskeln würden vielleicht inzwischen keinen mehr
interessieren und man würde eingesehen haben, dass auch sie nicht die absolute
Wahrheit darstellen. Solche Bedenken hat Ostermayer indes nicht und schüttet
die altbekannten und mittlerweile, das muss man überdies sagen, selbst schon
etwas abgegriffenen Tiraden erneut über uns aus.
Doch sieht er sich dabei immerhin mit
einer kleinen Tragödie konfrontiert. Denn wie jeder richtige Ideologe versteht
er zwar den Ton anzugeben und weiß er zwar, was richtig ist – aber das einfache
Volk folgt ganz einfach nicht. Der in der strukturalistischen und
poststrukturalistischen Fachliteratur früherer Jahrzehnte ausgerufene „Tod des
Autors“ hat sich, so bedauert er mit Grausen, ebenso wenig durchsetzen können
wie das proklamierte „Ende des Erzählens“, so dass er gegen die immer noch
fortwährende „Betroffenheits-“ und „Befindlichkeitsprosa“ wettern und sich über
die „innere Selbst- und Sinnsuche“ sowie die „Befreiungsversuche des
Individuums“ auf dem Feld der Literatur lustig machen muss, kurz über die
Beschreibung von menschlichen „Schicksalen“ überhaupt – indes er gleichzeitig
freilich dennoch beteuert, er wolle ja kein Zyniker sein.
Wenn er sich dabei aber (man muss
sagen: nicht ganz zu Unrecht) über die „Phrasendrescherei“ und „das gelahrte
Gelaber“ des Kulturbetriebes empört, das er auch als „Schas mit Quastln“
bezeichnet, dann muss man freilich einmal innehalten und einen kritischen Blick
auf seinen eigenen Text werfen.
Dann sieht man leider, dass sein
Pamphlet ebenfalls aus nichts anderem besteht. Da wettert nämlich einer gegen
„Befindlichkeitsprosa“ – und merkt nicht, dass er selbst ebenso nichts anderes
abliefert. Denn alles, was man hier vorfindet, sind die durchaus sehr
persönlichen und subjektiven Ressentiments und Vorlieben des gar nicht toten
Autors Fritz Ostermayer. In der Tat „erzählt“ er uns da einiges über sich. So
etwas wie ein Argument wird man hier aber nirgends finden. Vielmehr bloß die im
gewohnten polemischen und ein wenig diktatorischen Stil hervorgebrachte
postmoderne Kampfrhetorik in alter Frische. „Die Reduktion auf das Narrative
nervt“, gibt er uns kund, ohne zuzugeben, dass es zuerst einmal ihn nervt, und ohne über das Wort
„nervt“ hinauszugehen, da das ja schon zu viel Eingeständnis von persönlichen
Gefühlen wäre, die man im coolen postmodernen Betrieb am Ende doch immer zu
verleugnen hat, auch wenn man trotzdem von ihnen immerzu gesteuert wird.
Seine Begeisterungsstürme für die
konzeptuelle Kunst allerdings, die er wortgewaltig in Szene setzt – er kann uns
nicht erklären, warum das nicht auch „gelahrtes Gelaber“ und „Schas mit
Quastln“ ist, was er da schreibt: „Am
allerschönsten aber: Nächstes Wochenende wird der kanadische
Poesie-Konzeptualist Christian Bök im Wiener Literaturhaus sein Irrsinnsprojekt
xenotext experiment vorstellen. Darin
geht es darum, einem extrem resistenten Bakterium namens ‚Deinococcus
radiodurans‘ die DNA-Sequenz eines Bök-Gedichts zu injizieren. Damit sich das
Poem quasi autorenlos immer weiter fortpflanze und dank der
Widerstandsfähigkeit des Bakteriums auch jede nukleare Katastrophe überdauere.“
Man verstehe mich nicht falsch. Ich
verteufle die Postmoderne oder was man mit diesem verschwommenen Ausdruck
gemeinhin bedenkt, keineswegs in Bausch und Bogen, genauso wenig wie
Konzeptkunst. Darum geht es mir nicht. Die „Verwissenschaftlichung“ der
Geisteswissenschaften durch den Strukturalismus in den 60er Jahren sowie dessen
alsbaldige Überwindung (gleichzeitig Fortführung) im Poststrukturalismus haben
ohne Zweifel Großes geleistet, neue Perspektiven eröffnet und einen Blick für
viele Textphänomene überhaupt erst gefunden, für die es vorher gar keine
Begriffe gab. Der Text als Text selbst rückte mit einer Radikalität in den
Vordergrund, wie das zuvor vielleicht nie geschehen war, seine dynamische,
lebendige, fließende und vielschichtige Bauweise. Ich sehe es auch keineswegs
als etwas Schlechtes an, einen Text einmal als ein vom Autor losgelöstes Spiel
zu betrachten und dazu Überlegungen anzustellen, die ohne die konventionelle
Frage, was die „Aussage“ des „Autors“ sei, auskommen. Ganz im Gegenteil. Aus
der Hand des von Ostermayer ins Feld geführten Roland Barthes gibt es dennoch
wunderbare, einfühlsame Studien, und die Analysen von Julia Kristeva, auf die
er sich ebenso beruft, konnten tatsächlich etwas von der von ihr ausgerufenen
revolutionären Kraft der poetischen Sprache freilegen.
Aber aus der Postmoderne wurde sogleich
eine Mode, und erstaunlich rasch versteinerte sie zur sich hermetisch
abschließenden Ideologie, zu einem Must, dessen
Grundsätze man sich einzuverleiben hatte und nicht mehr hinterfragen durfte.
Weniger richtet sich meine Kritik daher gegen ihre ersten Autoren als gegen
ihre Verflachung und Ausdehnung ins Unendliche, gegen ihre Vulgarisierung im akademischen Betrieb, wo sie als Teil des
Standesdünkels einer Schicht Intellektueller fungiert, als Inventar an
schlagkräftigen esoterischen Phrasen für die Alphamännchenspiele des Kultur-
und Wissenschaftsbetriebes. Das ist das, was von ihr übergeblieben ist.
Modelle, die einst Gesellschaftskritik sein wollten, aber wurden Thronsessel
für beinahe schon aristokratische Arroganz.
Denn vielleicht hat es in der
Geschichte bisher keine andere Strömung gegeben, die es dermaßen raffiniert
verstanden hat, sich selbst den Titel subversiv
zu verleihen, währenddessen sie in Wahrheit tatsächlich immer autoritärere
Züge annahm. In Erinnerung ist mir noch, wie mir auf der Universität
beigebracht wurde, welche Worte man auf keinen Fall mehr in den Mund nehmen
dürfe: als da sind „Wahrheit“ und „Authentizität“, „Natur“, „Ursprung“,
„Originalität“, „Unmittelbarkeit“, „Ausdruck“ und „Ich“, - „Seele“ natürlich
schon gar nicht.
Diejenigen, die sagen, es gebe gar
keine Wahrheit, verwalten nämlich hier paradoxerweise selbst einen durchaus
absoluten Anspruch auf Wahrheit, und darum verstehen sie es schon gar nicht
mehr, wie man von ihrem Dogma, dass alle Wirklichkeit bloß gesellschaftliche Konstruktion sei, auch nur irgendwie abweichen
könne, dann sei man doch ein verachtenswerter und zurückgebliebener Essentialist.
Mit dieser Ansicht geht – ebenso in
sich widersprüchlich – einher, dass gerade eine Strömung, die mit sich so sehr
den Titel der Vernunftkritik zu
verbinden verstand, selbst nur neuerlich zu einer Überbetonung des bloß
intellektuellen Erfassens der Welt führte. Dementsprechend geriet es bald zur
Selbstverständlichkeit, der Kategorie des Mitgefühls oder der Anteilnahme
zugehörige Anwandlungen öffentlich lächerlich zu machen und als
„Betroffenheitsduselei“ oder „lamentöse Sozialdramatik“ zu diskreditieren. Wer
Postmoderner wurde, bekam das Eintrittsticket zum gesellschaftlich akzeptierten
Zynismus.
Darum blieb die postmoderne
Literaturrezeption durchaus nicht nur in denselben Vorurteilen gegenüber den
emotionalen Anteilen des Menschen stecken, die im Wissenschaftsbetrieb und
unter Intellektuellen generell herrschen, sondern sie verstärkte sie auch noch.
Mit meiner Auffassung, dass für mich als Leser, der einen Text verstehen will,
doch wohl unter anderem die darin gespeicherten Gefühle eines Menschen eine
Rolle spielen könnten, stieß ich daher gegen eine Mauer. Ich erinnere mich noch
gut daran, wie der Betreuer meiner Abschlussarbeit die mahnenden wie
verständnislosen Worte an mich richtete, es ginge doch bei einem ernsthaften
Zugang zur Literatur darum, über Texte intellektuell
zu verhandeln und nicht darum, sich
irgendwie in sie hinein zu fühlen.
Der Personen- und Geniekult um den
Autor wiederum, um darauf zurückzukommen, nahm nicht weniger paradoxe Wege. Auf
der einen Seite will ihn die Postmoderne seit jeher abgeschafft wissen, auf der
anderen Seite setzt sie ihn selbst fort, in Form des guten alten akademischen
Brauchs des einschüchternden Name-droppings:
Barthes hat gesagt … Foucault hat gesagt … na, dann muss es ja wohl
stimmen.
Um zur Anfangsfrage zurückzukehren, die
Fritz Ostermayer stellt: Was wurde aus dem „Tod des Autors“? Für mich selbst
jedenfalls habe ich die Antwort: Nun, dasselbe, was aus der ganzen eitlen Feier
der „Auslöschung des Subjekts“ bzw. des „Individuums“, aus all diesen dumpfen
Phrasen von der „Sprache, die sich selbst spricht“ bzw. vom „Text, der nur eine
Maschine ohne Ich sei“ etc. geworden ist.
Irgendwann haben sie sich selbst
überlebt. Die Postmoderne hat alles andere als überholt dargestellt, nur damit
langsam aber sicher sie sich selbst auch als überholt herausstellt. Solange man
jung war, haben sich ihre Sprüche geil angehört. Man wird älter, reifer, lässt
die Pubertät hinter sich und sieht: es geht doch auch um die Menschen, um ihre
Schicksale, und so albern ist das nicht.
Zur
Nachlese:
Der Text von Fritz Ostermayer im
Original: